Immer wieder sind es Suchende, Umherreisende, Verlorene,
derer sie sich annimmt und die sie sprachlich, den
einfachen Menschen ein Denkmal setzend, evoziert, ja
regelrecht besingt. Die Sprache selbst wird bei Marica
Bodržić dabei zur Protagonistin. Ihre Prosa ist immer
lyrisch durchsetzt, die Lyrik stellenweise erzählerisch
verortet. In den neueren, vor allem lyrischen Arbeiten
der Autorin nehmen Themen wie Mystik, Transzendenz,
Erotik, Weiblichkeit und Liebe einen größeren Raum als
bisher ein."
Man kann sowohl ihre Prosa als auch
die Poesie als gelungene fiktive Literatur mit
höchstem Genuss lesen und bewundern. Indes dort, wo
sie ins Politische gleitet, wie in ihrem
ambitionierten Reisebericht "Mein weißer Frieden"
(Luchterhand Literaturverlag, München 2014), wird
vieles ungenau, fraglich, ja mitunter unkorrekt. Indes
dürfen sowohl die kroatischen Leser als auch Kritiker
von ihren in fremden Sprachen schreibenden Autoren
erwarten, dass sie einen umfassenderen Einblick in die
Belange des Landes besitzen als Autoren anderer
Sprachen. Bei Marica Bodrožić ist dies nicht der Fall.
Die Romane
von Norbert Gstrein "Das Handwerk des Tötens" und "Die
Winter im Süden" sowie "Das Blutbuchenfest" von Martin
Mosebach vermitteln tiefere Einsichten in die
gegenwärtige kroatische Wirklichkeit als Bodrožićs
literarischer Reisebericht. (Siehe mein Bericht "Die
Kroaten in der deutschsprachigen Literatur vom Ende
des 19. bis Anfang des 21. Jahrhunderts" in der
Zeitschrift "Republika", Nr. 4/2013).
Während die genannten deutsch-österreichischen
Autoren auf ideologische Scheuklappen verzichten,
übernimmt Bodrožić ungeprüft viele Vorurteile und
nicht gerechtfertigte Urteile von deutschen und
kroatischen linken Intellektuellen. Sie reist über das
südkroatische Dalmatien nach Bosnien-Herzegowina mit
einem Furor, ohne auch nur im Ansatz die
Unausweichlichkeit des postjugoslawischen Kriegs
aufzuzeigen, der den Kroaten und Bosniaken von Serbien
und seinen Helfershelfern aufgezwungen worden war.
Sie sieht
die Schuld bei den Kroaten auch dort, wo sie nicht
existiert, im Bemühen, ein Gleichgewicht zwischen
Opfer und Täter herzustellen. Fraglos war keiner der
Kriegsteilnehmer unschuldig aus dem Krieg
hervorgegangen, und dennoch macht es einen
Unterschied, ob sich die einen verteidigen mussten und
die anderen die Angreifer waren mit dem Ziel, ein
Großserbien zu verwirklichen. Diese Sicht der
Ereignisse vertreten nicht nur kroatische, sondern
auch zahlreiche ausländische politische Analysten.
Es verwundert,
dass eine so explizite "Dalmatinerin" wie Marica
Bodrožić so wenig über ihre engere Heimat informiert
ist. So schreibt sie, Dalmatien sei erst nach dem
Untergang des sozialistischen Jugoslawien ein Teil
Kroatiens geworden. Dazu schreibt der Historiker und
Fachmann für Dalmatien,
Prof. Aleksandar Jakir von der
Universität Split: "Nach dem Untergang Österreichs
gehörte Dalmatien zunächst zum kurzlebigen, die
Südslawen der Donaumonarchie umfassenden Staat der
Slowenen, Kroaten und Serben, dann zum vom serbischen
Monarchen beherrschten Königreich der Serben, Kroaten
und Slowenen, das schließlich nach der Ausrufung der
offenen Königsdiktatur 1929 in Königreich Jugoslawien
umbenannt wurde. Nach dem Angriff der Achsenmächte am
6. April 1941 zerfiel dieses Königreich, das aufgrund
der Belgrader Dominanz die Kroaten nicht als das ihre
empfanden, innerhalb weniger Tage. Für Dalmatien
bedeutete das zunächst, dass es geteilt wurde und dass
große Teile von Mussolinis Italien annektiert
wurden...
Seit Ende Juni 1941 formierte sich
auch in Dalmatien eine starke antifaschistische Guerilla, die sich zu von
Kommunisten angeführten Partisaneneinheiten ausweitete, was in Folge den mit
großer Grausamkeit auch auf dem Gebiet Dalmatiens geführten Zweiten Weltkrieg
zugleich zu einem blutigen Bürgerkrieg werden ließ. Nach dem Sieg der
Anti-Hitler-Koalition und der sog. Volksbefreiungsarmee unter der Führung Josip
Broz Titos, die Ende Oktober 1944 das Küstengebiet und das Hinterland einnahmen,
wurde Anfang 1945 in Split die Regierung des neuen antifaschistischen Kroatien
gebildet. Die verbliebene italienischsprachige Minderheit wurde in die
Emigration gezwungen, die antikommunistischen Kräfte nach dem Sieg der
Partisanen unterdrückt. Die neue Macht rechnete blutig mit allen wirklichen oder
vermeintlichen Feinden ab. Ganz Dalmatien (bis auf die Bucht von Kotor und
Budva, die Montenegro zugeschlagen wurden) wurde nun Teil der sozialistischen
kroatischen Teilrepublik innerhalb des während des Krieges neu gegründeten
föderativen Jugoslawien."
Mangelnde historische Kenntnis zeigt Bodrožić, wenn
sie die Hauptstadt des römischen Dalmatiens Solana
nennt, aus welchem das spätere Split entstanden sein
soll. Richtig ist vielmehr, dass das spätere Split
Asphaltos hieß und fünfzehn Kilometer vom damaligen
Salona entfernt lag. Weiter heißt es bei der Autorin,
dass erst im 16. Jahrhundert die Oberschicht Splits
die kroatische Sprache übernommen hat. Tatsache
dagegen ist, dass der Vater der kroatischen Literatur,
Marko Marulić von Split, bereits im 15. Jahrhundert
die Sprache seines Epos "Judith" ebenso wie die seiner
Gedichte ausdrücklich Kroatisch nennt. Seine
theologischen Werke wurden in Köln gedruckt.
Nicht
korrekt ist auch die Behauptung der Autorin, die
Bewohner der Republik Ragusa (heutiges Dubrovnik)
hätten nur eine Variante der italienischen Sprache,
das so genannte Ragusianisch, gesprochen und nicht
kroatisch oder italienisch. Richtig ist, dass in
Dubrovnik so bedeutende Schriftsteller wie Ivan
Gundulić und Marin Držić, aber auch viele weniger
bekannte Autoren, ihre Werke in einem kroatischen, dem
so genannten ijekawischen/schtokawischen Dialekt
verfasst haben, der von den meisten Bewohnern dieser
Stadt gesprochen wurde. In der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts wurde dieser dann von kroatischen
Kulturinstitutionen als Hochkroatisch übernommen.
In ihrer "Dalmatinischtümmelei" wagt Marica Bodrožić
sich politisch auf sehr glattes Terrain. So bevorzugte
Wien in Dalmatien zu Zeiten von Österreich-Ungarn die
proitalienischen, so genannten "Autonomisten",
besonders durch eine ungerechte Wahlgesetzgebung.
Demzufolge waren die dalmatinischen Kroaten und
Serben, obwohl sie 95 Prozent der Bevölkerung des
Landes ausmachten, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
im Provinzparlament in Zadar in der Minderheit.
Auch im königlichen Jugoslawien wurde
der dalmatinische Separatismus aus Belgrad
unterstützt. Die prokommunistischen Partisanen im
Zweiten Weltkrieg propagierten das so genannte
"Dalmatinertum", um im Kampf gegen die
nationalistischen Ustaschas (die Aufständischen) des
Staatsoberhaupts Ante Pavelić in der Provinz mehr
Einfluss zu bekommen, was ihnen auch gelang. Diese
Bestrebungen dauerten die gesamte Zeit des
sozialistischen Jugoslawien über an, wo das Kroatentum
wegen seines vermeintlichen "Separatismus" dem Druck
durch die Kommunisten ausgesetzt war. Im
postjugoslawischen Krieg wurde im dalmatinischen Knin,
im Mittelalter Sitz kroatischer Könige, die so
genannte "Serbische Republik Krajina" proklamiert.
Der Vater des serbischen
Nationalismus, Dobrica Ćosić, bot einst in einem
Interview mit der italienischen Zeitung "Corriera
della Sera" Italien ein "Restdalmatien" an. In Italien
leben bis heute ehemalige italienische Flüchtlinge,
die ihre irredentistischen Träume über einen Anschluss
Dalmatiens an Italien noch immer nicht aufgegeben
haben. Im demokratischen Kroatien wirkte vor 25 Jahren
eine kleine Partei namens "Dalmatinische Aktion", die
aber schon bald mangels Mitglieder aus dem politischen
Leben wieder verschwand. Heute hat sich das
"Dalmatinertum" nur in der Folklore und im Humor
erhalten.
Marica
Bodrožić indes hält es als ethnische Zugehörigkeit
hoch, eine politische Haltung aus
österreichisch-ungarischen Zeiten, als die Kroaten in
Dalmatien von den dortigen Italienern als "Villani"
(Leibeigene) beschimpft wurden. Wer seine Kenntnisse
über Dalmatien ernsthaft vertiefen will, dem sei die
Lektüre von Referaten auf zwei Symposien empfohlen,
die in Bonn abgehalten und als Buch unter dem Titel
"Dalmatien als europäischer Kulturraum" von der
Philosophischen Fakultät der Universität Split im
Jahre 2010 herausgegeben worden sind.
Was Bodrožić in ihrem Reisebuch über den ersten
kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman schreibt, mag
allein ihrer ausgeprägten Emotionalität geschuldet
sein. Mit historisch belegbaren Fakten hat das nichts
zu tun, wenn sie schreibt: "Überall war während des
Krieges das Bild des kroatischen Präsidenten Franjo
Tuđman zu sehen, der nicht einmal mit der Wimper
zuckte und eine ganze Generation seiner Idee von einem
nationalistischen Kroatien opferte. Er war, aus der
Distanz betrachtet, ein lispelnder Mann, der, einmal
an der Macht, sich sofort aufs Reinemachen verstieg;
die Sprache, die Literatur, die Kultur - sie waren ihm
ein Dorn im Auge. Er leugnete den Holocaust und
zögerte nicht, Pavelić, jenen Führer, den mein Vater
und Tausende anderer Menschen in
Heiligenbildchen-Größe verehrten, zum nationalen
Helden zu ernennen. Er schadete damit auf Dauer im
Kern dem Frieden und den Menschen seines Landes mehr,
als es der Krieg selbst vermochte."
Dieser Beurteilung von Bodrožić steht
die Tatsache gegenüber, dass Tuđman den Unabhängigen
Staat Kroatien (1941-1945) zwar als "Ausdruck des
Verlangens des kroatischen Volkes nach einem eigenen
Staat" sah, ihn aber auch als eine Quisling´sche
Gründung, ein verbrecherisches Gebilde und das
Resultat der Beseitigung der Versailler Verträge durch
Hitler bezeichnete. Von vier seiner Urteile sind also
drei für den Unabhängigen Staat Kroatien negativ. Im
Übrigen ist der Antifaschismus in der kroatischen
Verfassung verankert. Auch gab es kein, wie die
Autorin es bezeichnet, "Reinemachen" durch Tuđman in
der Sprache, Literatur und Kultur. Die überwiegende
Mehrheit der kroatischen Intellektuellen waren auch
während seiner Herrschaft trotzige Linke aus
kommunistischen Zeiten.
Ihn als Antisemiten zu bezeichnen ist
absurd. Einer seiner größten Kritiker und
einflussreichstes Mitglied der Zagreber jüdischen
Gemeinde, Slavko Goldstein, hat dies mehrmals
verneint. Auch hat Tuđman zu keiner Zeit Pavelić
rehabilitiert, ebenso hat er niemals die Serben als
Volk pauschal herabgesetzt. Schließlich lebte er als
jugoslawischer General viele Jahre in Belgrad, seine
Kinder sind in der serbischen Hauptstadt geboren, und
sowohl Serben als auch Juden saßen als Minister in
seinen Regierungen. Zweifellos hat Tuđman viele Fehler
begangen, doch war er der einzige Staatsmann in
Kroatien als Gegenspieler von Slobodan Milošević der
richtige Mann am richtigen Ort.
Alle anderen
kroatischen Politiker, auch der von Bodrožić gelobte
Dichter Vlado Gotovac, waren in puncto Mut, Taktik und
Zielstrebigkeit Tuđman nicht gewachsen. Eine fundierte
Biografie von Tudjman in Englisch und als kroatische
Übersetzung hat der amerikanische Historiker James S.
Sadkovich vorgelegt.
In ihrer beharrlichen Suche nach Antisemitismus in
Kroatien wird Marica Bodrožić auf einem schwer
zugänglichen jüdischen Friedhof in Split fündig, nicht
wissend, dass er seit einem Jahrhundert nicht mehr in
Gebrauch ist. Vom Spliter Hausberg Marjan hätte sie
den zerstörten ehemaligen katholischen Friedhof
Sustipan sehen können. Das Gelände musste einem
geplanten Luxushotel weichen, dessen Bau aber bis
heute nicht realisiert worden ist.
Sie beklagt,
dass ein serbischer Friedhof in ihrem Dorf verwüstet
worden sei, was ihrem Vater Tränen in die Augen
treibe. Und ihre Mutter wolle mit ihr nicht mehr "über
serbische Leiden" reden. In ihrem Geburtsort Svib
lebten 885 Kroaten und nur elf Serben. Gab es für sie
einen eigenen Friedhof? Schwer zu glauben. Sie fahndet
nach Serben selbst auf der entfernten Adriainsel Vis,
wo Serben nur als Offiziere der Jugoslawischen
Volksarmee dienten. Sie macht einen vermeintlichen
Franziskaner als Kommandanten des verbrecherischen
Konzentrationslagers Jasenovac (1942-1945) aus, obwohl
eine gründlichere Recherche ergeben hätte, dass dieser
bereits zu einem früheren Zeitpunkt aus dem Orden
entlassen worden war, mithin kein Franziskaner mehr
war. Im Zweiten Weltkrieg und viele Jahre danach haben
jugoslawische Kommunisten und serbische Nationalisten
etwa 550 kroatische Priester und Ordensleute ermordet.
Das erwähnt die Autorin nicht.
Für die Benennung der kroatischen Sprache bevorzugt
Bodrožić das so genannte Serbokroatisch. Sie bezieht
sich dabei auf Snježana Kordić, die als einzige
kroatische Linguistin diesen unwissenschaftlichen
Standpunkt zu einer nicht existenten Sprache vertritt.
Als ihren Gegenspieler benennt Bodrožić keinen
geringeren als den nationalistischen Führer Ante
Pavelić, der von 1941 bis 1945 in Kroatien die
etymologische Schreibweise verordnet hatte. Eine
leicht zugängliche Recherche im Internet hätte Marica
Bodrožić darüber belehren können, dass eine solche
Rechtschreibung in Kroatien bis Mitte des 19.
Jahrhunderts und bei einigen Schriftstellern auch
danach in Gebrauch war.
Kroatisch
und Serbisch sind zwei Standardsprachen, die starke
Ähnlichkeiten aufweisen, jedoch nicht identisch sind,
vergleichbar dem Schwedisch und Norwegisch oder
Mazedonisch und Bulgarisch. An dieser Stelle sei ein
kleines, aber sehr lehrreiches Buch von Mario Grčević
unter dem Titel "Die Entstehung der kroatischen
Literatursprache" (Verlag Böhlau, Köln, Weimar, Wien
1997) empfohlen. Auch eine Schriftstellerin sollte
sich bei Bedarf wissenschaftlicher Werke bedienen, um
sich nicht durch politisierende Meinungen ewig
gestriger, mehrheitlich deutscher Slawisten fehlleiten
zu lassen.
Bedauerlich, dass das sprachlich wunderbar verfasste
Reisebuch von Marica Bodrožić "Mein weißer Frieden"
durch ihre starke Ideologisierung gelitten hat. Sie
stellte falsche Fragen den falschen Leuten und gab
sich mit den falschen Antworten zufrieden.
Gojko Borić,
www.hkz-kkv.ch
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