Jugoslawiens "Volksarmee" als Störenfried
Militärs unterlaufen den letzten Minimalkonsens
Von unserem
Korrespondenten Arthur Meyer, Januar 1991
Kroatiens Staatspräsident Tudjman,
gelernter Geschichtsprofessor, ehemaliger Generalmajor
in Titos Partisanenarmee und späterer Dissident mit
kommunistischer Gefängniserfahrung, sprach es
vorgestern bei einem Vortrag in Wien gelassen aus.
Jugoslawien zerbricht an jener Klammer, die es in den
Vergangenen Jahrzehnten eisern zusammenhielt: am
grossserbischen Machtanspruch, ausgedruckt nicht
zuletzt durch die serbisch-montenegrinische Dominanz
über die einstmals gemeinsame "Volksarmee" - und an
der Herrschaft einer "neuen Klasse" , der Belgrader
kommunistischen Bürokratie, deren Macht in Slowenien,
Kroatien, Mazedonien und in Bosnien, nicht aber in
Serbien-Montenegro gebrochen und durch ein
demokratisches Mehrparteiensystem abgelöst worden ist.
Illusion
des südslawischen Staates
Die Idee
des gemeinsamen südslawischen Staates ist nicht mehr
zu retten; das scheint mittlerweile auch der
verzweifelt um die letzten Reste von Gemeinsamkeit
kämpfende Bundesministerpräsident Markovic eingesehen
zu haben: Markovic hat sich in den letzten Tagen auf
ein "Minimalprogramm" konzentriert, das wenigstens in
den wichtigsten Ueberlebenspunkten das Funktionieren
der Bundesorgane bis zu einer Neuordnung sichern soll:
ein Markt, eine Wahrung, ein Finanzsystem. Doch auch
dieser "kleinste gemeinsame Nenner" ist längst
unterlaufen. Selbst die kroatisch-slowenische Idee
eines losen Staatenbunds aller (im Übrigen souveräner)
jugo-slawischer Völker - von Tudjman in Wien als "eine
Art Mini-EG" bezeichnet - erscheint, gemessen an der
Realität- der letzten Wochen, schon als
Maximalprogramm.
Alle darüber vom Bundespräsidium mit den Spitzen der
(Teil-)Republiken geführten Verhandlungen sind
regelmässig zu "Krisensitzungen" geworden - auch die
jüngste Zusammenkunft von gestern wieder: Irgendwer
hat immer rechtzeitig für Schwierigkeiten gesorgt. Am
meisten jene, die sich nach aussen hin als die
Beschützer von Recht und Ordnung aufspielen - die zu
über zwei Dritteln am nationalkommunistischen
serbischen Volkstribun Milosevic orientierten
Offiziere der jugoslawischen Volksarmee. Genug, dass
sie über eine eigene Militärgerichtsbarkeit verfügen,
die nach Lust und Laune über alle zivilen Instanzen
hinweg urteilt, wie jetzt gegen den kroatischen
Verteidigungsminister Spegelj; ihren Unteroffizieren
wurde dieser Tage von den Polit-Offizieren und in
Tagesbefehlen der Führung eingebläut, sie verteidigten
mit der Ordnung auch die "wohlerworbenen
Errungenschaften des Sozialismus". .
Hoffnung
auf Renaissance der Militärs in Sowjetunion
In Verkennung der eigenen Lage - seit Slowenien und
Kroatien die Rekrutierung ihrer Söhne verweigern,
besteht rund die Hälfte der dienstverpflichteten
Soldaten (wegen deren extrem hoher
Geburtenfreudigkeit) aus Kosovo-Albanern - schöpfen
die im Tito-Staat überprivilegierten Nachfahren des
Partisanen-Mythos verzweifelte Hoffnung aus der
Renaissance der Militärs in der Sowjetunion. Zum
Zündeln reicht ihre Macht allemal aus. Und im Verein
mit den grossserbischen Intrigen führt das dazu, dass
alle Kompromisse und Lösungen, die auf politischem Weg
zustande kommen (zuletzt am vergangenen Freitag bei
den Verhandlungen des kroatischen Präsidenten in
Belgrad), schon am nächsten Tag durch irgendeine
Provokation aus Armeekreisen wieder- in Frage gestellt
werden.
Europas Mithilfe erforderlich
Im Interesse der letzten Stabilität der Region
sollten daher auch die europäischen Nachbarn nicht
länger von einem gemeinsamen Staat Jugoslawien
ausgehen, sondern vielmehr aktiv mithelfen, Lösungen
zu einem geordneten und friedlichen Auseinandergehen
ohne Bürgerkrieg zu finden. Sie stehen dabei vor der -
im Rückblick auf alle gewaltsamen Auseinandersetzungen
im Europa dieses Jahrhunderts - vielleicht
schwierigsten Aufgabe, bei der Definition von Grenzen
mithelfen zu müssen, die einerseits politisch klar,
andererseits aber auch für die diversen Minderheiten
in den nationalen Mischregionen genügend durchlässig
sein sollten. Wenn sich heute die jugoslawische
Volksarmee als Störenfried einer politischen Lösung
und als Gegner der Demokratisierung entpuppt, so wäre
Westeuropa immerhin daran zu erinnern, dass es
(seinerzeit im Zeichen des Ost-West-Gegensatzes und
der strategischen Lage Jugoslawiens) nicht zuletzt
westliche Kredite gewesen waren, die das Aufpäppeln
dieser "heiligen Kuh" ermöglicht hatten. Vergleiche
mit der in den Augen einiger wenig vorausschauender
Strategen Irak als einstigem Gegner des Iran
zugedachten Rolle sind dabei erlaubt.
Nationale Konflikte verschärft
(sda) Trotz der Krisensitzung der jugoslawischen
Staatsführung über die Zukunft des Landes in Belgrad
haben sich die nationalen Konflikte im Vielvölkerstaat
weiter verschärft: Die Streitkräfte machten
eindeutiger denn je klar, dass sie den kommunistischen
Bundesstaat um jeden Preis aufrechterhalten wollen.
Wegen der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den
acht Landesteilen wurde an der Krisensitzung nicht mit
einem Kompromiss für den Bestand Jugoslawiens
gerechnet. Selbst Beschlüsse über eine friedliche
Trennung der zerstrittenen Republiken und Provinzen
wurde nicht erwartet. Das Verteidigungsministerium
beschuldigt "den Westen" , Jugoslawien zerschlagen zu
wollen.
Die von Offizieren neugegründete Kommunistische
Partei werde in Kürze zur wichtigsten Kraft im Lande
aufsteigen. Der Konföderation erteilte die Armeespitze
eine klare Absage.
Gleichtags ist es zu einer neuen Konfrontation
zwischen der Armee und Kroatien gekommen. Kroatien
widersetze sich der vom Militär angeordneten Festnahme
des kroatischen Verteidigungsministers Spegelj.
Das Militärgericht in Zagreb hatte am Vortag die
Festnahme Spegeljs "innerhalb von 24 Stunden"
angeordnet, weil der einen "bewaneten Aufstand gegen
die Armee" vorbereitet habe. Nach Überzeugung der
kroatischen Regierung hatte Spegelj lediglich einen
Beschluss des Kabinetts ausgeführt, als er mit
importierten Waffen die Polizei der Republik
bewaffnete.
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