Während und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg hat
Kroatien, als letzter Verbündeter Deutschlands, schwer
für den verlorenen Krieg büssen müssen. Es hat
hunderttausende seiner Eliten und seiner
Zivilbevölkerung verloren. Seine ganze Mittelschicht war
1945 von titoistischen Kriegsgewinnern ermordet worden.
Die Nichtbewältigung der
Nachkriegserfahrungen des Zweiten Weltkriegs hat zwei
Gründe. Erstens: Eine Untersuchung der nach 1945
stattgefundenen Massen- und Völkermorde nach dem
Zweiten Weltkrieg durch jugoslawische und andere
Historiker hätte ein schlechtes Licht auf die
westlichen Allieerten wegen ihrer Duldung dieser
völkerrechtswidrigen Verbrechen geworfen. Zweitens
besitzen die heutigen Politiker in Kroatien ein
solides Pedigree aus den Zeiten des Kommunismus, der
dem Zweiten Weltkrieg auf dem Fusse folgte. Sie können
trotz ihrer jetzigen ultra-liberalen Phraseologie ihre
kommunistischen Lehrjahre kaum verbergen. Grosse Teile
der Öffentlichkeit haben sich von einem schnell
verdauten Jugokommunismus und noch schnellerem
fingierten kroatischen Nationalismus in
Rekordgeschwindigkeit in den letzten Jahren zu einem
nachgeäfften westlichen Liberalismus umgeschminkt.
Schuld an den Kriegsereignissen in
Ex-Jugoslawien vor 15 Jahren waren keine fanatischen
Nationalisten, sondern die ehemalige kommunistische
Elite die, unterstützt von der internationalen
Gemeinschaft, nie versucht hat, die nationale Fragen
Jugoslawiens zu lösen und die nie die Courage hatte,
über die ethnischen Säuberungen nach 1945 zu reden.
Der Unabhängigkeitskrieg von 1991 wird in den Medien
kritisiert, gleichzeitig aber von den Politikern hoch
gepriesen; der Krieg wird von allen Parteien als
Heimatkrieg definiert während gleichzeitig hohe
kroatische Offiziere sich vor dem Haager Gericht
verantworten müssen. Diese schizoide Lage bezüglich
der kroatischen Kriegserfahrung hat ihren Preis.
Der Druck der westlichen
Wertegemeinschaft und der kroatische allgemeine Wunsch
eines EU Beitritts sind so gross, dass die heutigen
Politiker Schwierigkeiten haben, Kroatiens Identität
zu erkennen. Sie zeigen sich der Welt als
Ultrademokraten und Antifaschisten; sie ersetzen die
ehemalige Unterwürfigkeit vor Belgrad durch eine
Unterwürfigkeit vor Brüssel; sie distanzieren sich von
irgendwelchem Nationalismus und ganz besonders vom
Kroatien des Zweiten Weltkriegs; die grossen von
Kommunisten am kroatischen Volk nach 1945 begangenen
Massaker werden offiziell verschwiegen. Der kroatische
parlamentarische Ausschuss für die Untersuchung der
Opferzahlen nach dem 2. Weltkrieg wurde im Jahre 2001
aufgelöst. Man kann daraus schliessen, dass bei den
alten ehemaligen und heute pensionierten kroatischen
Partisanen wie bei ihren Nachfolgern kein besonderes
Interesse besteht, ihre kommunistische Vergangenheit
zu erforschen.
Somit ist die Thematisierung des
Zweiten Weltkriegs in Kroatien, ähnlich wie in
Deutschland, ein Fach der sogenannten
"Rechtsradikalen", "Revanchisten" und "Revisionisten"
geworden. Immer besteht die Gefahr, dass jemand, der
einen kausalen Nexus zwischen den kommunistischen und
anderen Völkermorden von 1945 und den ethnischen
Säuberungen vom jugoslawischen Bürgerkrieg sucht, als
"Rechtsextremist" gebrandmarkt wird.
Das ist bedauerlich, denn hätten die
Meinungsmacher und die Historiker im kommunistischen
Jugoslawien, aber auch im Westen, offen über die nach
dem Zweiten Weltkrieg von Kommunisten begangenen
Völkermorde an Kroaten und Donaudeutschen berichtet,
wären die im Krieg in den neunziger Jahren
stattgefundenen Massaker vermieden worden.
Die gigantischen Morde der Kommunisten
im Sommer 1945 an der Zivilbevölkerung, insbesondere
an der kroatischen und volksdeutschen Mittelschicht,
sind in Kroatien noch nicht bewältigt. Zwar gab es in
den neunziger Jahren eine Versöhnungsgeste seitens der
Tudjman-Regierung, die die menschenrechtswidrigen
AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Nationalen Befreiung
Jugoslawiens) Gesetze ausser Kraft gesetzt und die
Rechte der Volksdeutschen wieder her gestellt hat,
aber man spricht heute über die Leiden der
Volksdeutschen nur in geschlossenen Zirkeln; ausser
ein paar Experten auf diesem Gebiet wissen nur wenige
in Kroatien, was eigentlich mit hundert tausenden
Donauschwaben in Jugoslawien nach 1945 geschehen ist.
Trotzdem muss betont werden, dass Kroatien im Hinblick
auf eine Aussöhnung zwischen Vertreibern und
Vertriebenen der Tschechischen Republik, wo die
Beneschdekrete nach wie vor gelten, weit voraus ist.
Obwohl der jugoslawische Bürgerkrieg
1991-95 das Identitätsfundament Kroatiens war, der die
Nation und alle ihre nachkommunistischen Parteien zu
völkerrechtlichem Bestand geführt hat, sind heutzutage
die meisten der kroatischen Politiker und Medienleute
anational und denken antikroatisch. In der Tat hat
Kroatien im völkerrechtlichen Sinn wenig gewonnen. Das
Land ist heute nur halb-souverän, und die Frage ist
berechtigt, ob es sich für die Kroaten gelohnt hat,
aus Jugoslawien auszuscheiden, weil Kroatiens
Souveränität heutzutage nicht in Zagreb, sondern in
Brüssel und Washington ausgeübt wird.
Die politischen Kreise in Kroatien,
und ebenso in Deutschland, kennen die Geschichte der
Nachkriegszeit sehr gut. Aber sie haben ein Interesse
daran, zu schweigen und glauben, nur ein selektives
Geschichtsbewusstsein an den Tag legen zu müssen. Zwar
herrscht in Kroatien mehr akademische Freiheit zur
Historiographie des Zweiten Weltkriegs als in
Deutschland. Aber es ist zu befürchten, dass mit der
EU Kandidatur auch Kroatien bald ein Opfer sogenannter
"Normalisierung" und "Selbstzensur" sein wird.
Es scheint anachronistisch, die Opfer
des jüngsten Krieges zu beklagen und ihre
Vollstrecker, zum Beispiel Milosevic und Karadzic vor
den internationalen Gerichtshof zu zerren und zur
gleichen Zeit die Taten ihrer Vorbilder Tito und
Benesch zu ignorieren. Dabei sind Karadzic, Milosevic
und die anderen Drahtzieher des letzten Krieges auf
dem Balkan nichts mehr als kleine Lehrlinge der
ehemaligen kommunistischen und nichtkommunistischen
Partisanen aus jugoslawischen und tschechoslowakischen
Nachkriegssystemen, deren Greueltaten von der
westlichen Wertegemeinschaft seit 65 Jahren nicht nur
nie angeprangert, sondern gelegentlich sogar gepriesen
worden sind.
Kommunistische Massen- und Völkermorde
nach dem Zweiten Weltkrieg hatten einen Rückgang der
kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung im
kommunistischen Kroatien, einem Teil Jugoslawiens.
Ähnliches gilt für Polen und die zunächst
"demokratische" Tschechoslowakei unter Benesch. Die
Völkermorde bestimmten gleichzeitig die
Historiographie, die wiederum den Bürgerkrieg 1991 in
Ex-Jugoslawien beeinflussten.
Obgleich der letzte Krieg 15 Jahre
zurück liegt, hat sich auf psychlogischen, politischen
und völkerrechtlichen Ebenen nichts geändert. Alle
Völker und Völkerschaften des ehemaligen Jugoslawien
leben, ähnlich den Polen und Tschechen, noch immer im
eigenen Mythos und betrachten sich als Opfer der
Anderen. Ohne eine kritische historische Analyse des
kausalen Nexus zwischen den Ereignissen nach 1945 und
den Ereignissen im Jahre 1991 in Ex-Jugoslawien und
anderswo wird es keine Ruhe geben.
Ein kleines Randvolk wie die Kroaten
wird nie eine grosse Rolle in der hohen Politik
spielen, da alles, was sich in Berlin abspielt,
anschliessend in Zagreb nachgeäfft wird. Berlin
wiederum schaut nach Washington bevor es handelt.
Sollte Deutschland in der Zukunft einmal seine
geistige und völkerrechtliche Unabhängigkeit zurück
gewinnen, wird das automatisch sich auf Kroatien
auswirken. Zur Zeit sind beide Staaten leider
verpflichtet, päpstlicher als der Papst zu sein, das
heisst, mehr Aufmerksamkeit der Opferlehre der anderen
zu zollen, als Sympathie für die eigenen Opfer zu
entwickeln.
So lange die Beneschdekrete in der
Tschechischen Republik und ähnliche Gesetze in Polen
Gültigkeit haben, stellt sich die Frage, ob nicht
eines Tages diese Dekrete als ein gutes Alibi für
einen neuen Krieg in Europa benutzt werden können.
Warum sprechen wir über Milosevics Missetaten und
nicht über jene von Benesch, einem Liebling des
Westens, der heute in der Tschechischen Republik als
Nationalheld gefeiert wird?
Wir leben heute im Zeitalter von
Opferlehren, von denen einige sich zu Zivilreligionen
entwickelt haben. Jede Opferlehre ist immer auf die
Opfer anderer Völker ausgerichtet und damit nichts
anderes als eine Fortsetzung des Krieges. Alle
Opferlehren sind höchst konfliktreich - sie führen
nicht zur Versöhnung sondern zu neuen Kriegen. Eine
dieser Opferlehren bezieht sich auf nichteuropäische
Opfer, nicht aber auf die Opfer unserer eignen Völker.
Heute gibt es in der Opferlehre eine Hierarchie der
Toten. Es ist kein Zufall, dass in dieser immensen
Opferlehre aussereuropäische Völker und ihre
Opferlehre immer Vorrang haben sollen.
Wir sollten uns daran erinnern, dass deutsche und
kroatische Nachkriegsverluste an der Zivilbevölkerung
sehr hoch waren, die unser Gedenken verdienen. Ihrer
zu gedenken ist keine politisch angeordnete Pflicht,
sondern unsere Zivilpflicht.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit !
Dr. Tomislav
Sunic
www.tomsunic.info
09.07.2010.
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