In Bosnien-Hercegovina, wo von 1992 bis 1995 der größte
Krieg tobte, den Europa nach 1945 erlebte, war es
ähnlich: Am Anfang standen falsche Zahlen. Lange machte
die von (muslimischen) Bosniaken in die Welt gesetzte -
und dann von ausländischen Journalisten in gutem Glauben
verbreitete - Zahl von 250 000 Todesopfern des
bosnischen Krieges die Runde. Wissenschaftler
haben diese aus politischen Gründen übertriebene Zahl
später korrigiert. Laut neuesten Forschungen sind im
Bosnien-Krieg etwa 100 000 Soldaten und Zivilisten eines
gewaltsamen Todes gestorben. Aber auch diese Zahlen
sagen uns fast nichts über den Krieg in dem Balkanstaat.
Erst jetzt, mehr als zehn Jahre nach dem unvollkommenen
Friedensschluss von Dayton, bekommt das Morden in
Bosnien Stimmen. Durch die Regisseurin Jasmila Zbanic
etwa, deren Film über das Leben einer im Krieg
vergewaltigten Bosniakin und ihrer Tochter im
vergangenen Jahr bei der Berlinale mit dem Goldenen
Bären ausgezeichnet wurde. Oder durch das nun
vorliegende Buch von Jadranka Cigelj, das ebenfalls
geeignet ist, dem Zahlenwerk der Kriegsstatistik durch
die Schilderung von Einzelschicksalen Substanz zu
verleihen.
In "Appartement 102 Omarska" berichtet
Frau Cigelj von ihrem Überleben in einem von Serben
betriebenen Folterlager, in dem etwa 3000 Männer
gequält und getötet wurden. Außer den Männern wurden
auch 37 Frauen in dem ehemaligen Bergwerk Omarska in
der Nähe der bosnischen Stadt Prijedor festgehalten,
von denen die meisten wie die Chronistin immerhin mit
dem Leben davonkamen - oder mit dem, was ihnen davon
noch blieb nach der physischen und vor allem
psychischen Tortur. Einige ihrer Peiniger waren Frau
Cigelj persönlich bekannt: in friedlichen Zeiten waren
es Kollegen, Nachbarn oder Mitpassagiere in
öffentlichen Verkehrsmitteln. Allesamt scheinbar
wohlerzogene Leute, die in anderen Zeiten im lokalen
Chor den Bass sangen, Magisterarbeiten in der Schweiz
schrieben und zu Besuch Chrysanthemen mitbrachten.
Durch den Krieg und den Zufall ihrer Geburt als Serben
wurden sie zu Herren über Leben und Tod ihrer früheren
Nachbarn, die zufällig keine Serben waren. Bei einigen
brach ein Hang zum Sadismus hervor. "Mit schmerzhaft
geschärften Sinnen" überlebte Frau Cigelj in dieser
Welt, und auf diese Weise hat sie sich Jahre später
auch daran erinnert, um es festzuhalten. Dies ist ein
Sachbuch, aber die Sprache ist von literarischer
Qualität. Mit einer stellenweise nur schwer zu
ertragenden Eindringlichkeit beschreibt die Autorin
den Verlauf ihres Martyriums in Nordwestbosnien, das
für sie 55 Tage dauerte und ein Leben dauern wird. Sie
schildert die psychologischen Überlebensstrategien,
denen die gefangenen Frauen folgten, um nicht
wahnsinnig zu werden. Dazu gehörte die eingebildete
Bejahung des durch Folterungen erlittenen Schmerzes:
"Der Schmerz, der bis dahin jede meiner Bewegungen
blockierte, begann mich zu trösten. Er weitete sich
aus und gab mir eine merkwürdige Sicherheit. Er war
bekannt. Er gehörte zu mir und ich hatte ihn letzte
Nacht kennengelernt. Die Uniform war das Unbekannte."
Sie erinnert sich an das naive Hoffen der
Verzweifelten auf ein Wunder: "Ich begriff nicht, dass
es nicht die Zeit für Wunder war. Es gab nur die Zeit
der Serben."
Zur Zeit der Serben wurden die Jahre
bis 1995 auch deshalb, weil das Ausland nicht oder nur
zum Schein eingriff in diesen Krieg, der nicht nur,
aber ganz wesentlich ein Vertreibungsfeldzug Belgrads
und seiner zum Teil sehr eigenständig agierenden
bosnisch-serbischen Handlanger war. Vollends
gespenstisch werden die Beschreibungen von Frau
Cigelj, wenn man sich dazu die Bosnien-Debatten in
Erinnerung ruft, die just zu jener Zeit in den
Parlamenten der Welt stattfanden, als Menschen in
Omarska gefoltert und getötet wurden. Während sich vor
allem im Osten Bosniens, an der Drina, eine Stadt nach
der anderen in ein Schlachthaus für Muslime
verwandelte, wurde in den europäischen Hauptstädten,
in London vor allem, nicht selten die Meinung
geäußert, dass "dort unten" irgendwie alle
gleichermaßen schuld seien und "die Kriegsparteien"
endlich zur Vernunft kommen müssten.
In Deutschland waren es gerade linke
Parteien und Kräfte, die sich mit einem Hinweis auf
die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg begangenen oder
geförderten Verbrechen gegen ein Eingreifen der
Bundeswehr wandten. Der Sarkasmus dieser Haltung ist
unübertrefflich, und so muss sich dem deutschen Leser
denn auch bei dieser Lektüre wieder einmal der Gedanke
aufdrängen, wie wohlfeil die politisch korrekte
Nie-wieder-Litanei als inoffizielles Leitmotiv der
Bundesrepublik gerade für jene war, die sie am
lautesten vorbeteten. Es wird, auch das ist eine trübe
Lehre aus Jadranka Cigeljs Buch, immer wieder ein
"wieder" geben, und man kann realistischerweise wohl
nur die Hoffnung hegen, wenigstens in Europa ließen
sich die Abstände zwischen solchen Rückfällen
möglichst groß halten. Jadranka Cigeljs Buch ist die
verstörende Aufzeichnung eines solchen Rückfalls, der
sich ereignete in Zeiten, als die Welt angeblich schon
ein globales Dorf war.
MICHAEL
MARTENS
Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 27.11.2007
Jadranka
Cigelj: Appartement 102 Omarska. Ein Zeitzeugnis.
Herausgegeben
von der Internationalen Gesellschaft für
Menschenrechte, Deutsche Sektion e. V. Diametric
Verlag, Würzburg 2007. 234 S.
Leseprobe
"Und, Frauen.!"
Er stand an der Tür. Ein spöttisches
Lächeln umspielte seine Lippen, die ein gepflegter
Schnurrbart umsäumte. Sein Äußeres hob die
Selbstsicherheit hervor, die dieser Mann ausstrahlte -
die funkelnden dunkelbraunen Augen, das sorgfältig
gekämmte glänzende dichte Haar, das mit Öl oder
Haargel eingeschmiert war.
Das Erscheinen des Mannes unterbrach
unsere leise Unterhaltung. Schweres steinernes Atmen
füllte den Raum mit stummer Erwartung.
Die Luft war bleiern vor Schweigen und
Unbehagen, das mich wie eine Flutwelle überkam.
Langsam glitt sein Blick über unsere Gesichter, die
wir mit gebeugten Köpfen zu verstecken versuchten.
Meine Augen irrten herum in der
Hoffnung Unterstützung zu finden. Mein Hals pochte.
Mich beschlich eine unangenehme Vorahnung, die Panik
hervorrief. Ich versuchte meine verwirrten Gedanken
auf der Suche nach der Bedeutung dieses Besuchs zu
ordnen. Aber die Panik, die so unerwartet kam wie die
Flut, packte mein gesamtes Wesen. Die Fäuste, die ich
vor Angst immer fester zusammendrückte, füllten sich
mit klebrigem Schweiß. Heimlich suchte ich den Blick
einer anderen Frau. Alle Blicke waren auf den Boden
gerichtet, die Lippen fest zusammengedrückt und stumm,
als ob unser Schweigen, das unendliche Minuten füllte,
den unerwarteten Besuch hätte entfernen können.
"Du! Du, da hinten. Mit den großen
Augen... Du bist neu?" Es waren nur Wörter. Wörter,
die eine Drohung in sich trugen. Keine von uns
antwortete. Er sprach auch keine bestimmte von uns an.
Vorsichtig blickte ich in die Gesichter von drei
Frauen, die an jenem Tag gebracht wurden. Ich hielt
den Atem an. Sie starrten mich an. Mein Hals zog sich
zusammen, als ich merkte, dass sich der Mann an mich
wandte. Ich konnte kein Wort hervorbringen. Anstatt zu
antworten, nickte ich fast unmerklich. Kleine
Schweißtropfen sammelten sich an meinen Lippen und
tropften auf das Kinn.
Ein unsinniger Gedanke schoss durch meinen Kopf und
ich sagte, fast laut: "Eigentlich schwitze ich nie."
"Hab keine Angst. komm her!"
Es war keine Bitte. Er bat um nichts. Es war ein
abgeschwächter Befehl. Ich bewegte meine bleischweren
Beine und näherte mich ihm.
"Du hast Augen wie meine Ivanka. Ja.
Genau wie sie. Das habe ich sofort bemerkt."
Ich unterdrückte den Wunsch zu
fliehen. Die Worte kamen eines nach dem anderen, als
ob er sie sich selbst aufsagen würde. Langsam berührte
er mit seinem Daumen und dem kleinen Finger mein Kinn
und mit zärtlichen Berührungen wischte er die kleinen
Schweißtropfen, die sich über meinen Lippen
ansammelten, weg.
Ich traute mich nicht mich auch nur einen Millimeter
zu bewegen, trotz des gutwilligen Blicks, mit dem er
mich anschaute. Mit dem letzten Rest
Selbstbeherrschung unterdrückte ich die aufkommende
Panik, die sich in mir ausbreitete und mich lähmte. In
diesem Raum gab es nur meine Angst und den Verursacher
meiner Angst. Alles Andere war weg und außerhalb
meiner Reichweite. Langsam stieg Kälte meinen Rücken
hinauf und rief eine Gefühllosigkeit im ganzen Körper
hervor.
"Ich möchte mit dir alleine reden!"
Das war ein Befehl, begleitet mit einem leichten
Drücken meines Kinns. Wieder suchte ich in den Augen
der anderen Frauen Unterstützung. Aber ihre Augen
blickten ins Leere, als ob sie so ihr eigenes
Schicksal ändern könnten.
Mein Blick glitt auf den Tisch, auf dem Reste
unseres Abendessens lagen. Es war mein erster Abend an
diesem Ort.
Seine Hand glitt von meinem Gesicht
auf den Oberarm. Langsam schob er mich in Richtung
Tür. Das Heraustreten aus dem hellen Raum in den
dunklen Flur war ein weiterer Schock. Vor lauter Angst
konnte ich meine Beine kaum bewegen, während er mich
mit einer merkwürdigen und bestimmten Geduld in die
Dunkelheit schob. Ich hatte das Gefühl sehr lange
gegangen zu sein, bevor ich wieder Licht sah;
wahrscheinlich war es der Mondschein, oder ein anderes
Licht außerhalb dieses Raumes. Ich spürte, wie er
meinen Arm losließ und mich am Rücken fest nach vorne
drückte, irgendwohin nach vorne.
"Komm!" Ein leiser Befehl. Er schob
mich nach vorne. Es gab keine Zärtlichkeit in seinen
Berührungen mehr, auch nicht in der Stimme. Ich ahnte
die unausgesprochene Drohung.
Ich versuchte meine Augen dem
schwachen Licht anzupassen, das einige Büromöbel
erleuchtete und den Raum mit Angst erregenden Schatten
füllte. "Draußen werden bestimmt Reflektoren sein."
Ich versuchte meine Gedanken auf etwas Bestimmtes zu
richten, um meinen heftigen Wunsch zu schreien zu
dämpfen. Intuitiv spürte ich, dass keine Angst gezeigt
werden darf und dass schon gar nicht geschrieen werden
darf. Ich spürte, wie er mich wieder fest am Oberarm
griff und mich nach unten zog. Ich begriff. Er wollte,
dass ich mich setze. Steif blieb ich stehen, bis er
mir mit schweren Händen meine Schultern nach unten
drückte und mich zwang dem unausgesprochenen Befehl zu
gehorchen. Ich spürte die Berührung seiner Beine. Er
saß auf einem Stuhl. Mein schwacher Abwehrversuch
wurde mit einem festen Druck gestoppt und im nächsten
Augenblick war ich in seinem Schoß.
"Du bist also die Kroatin, die heute
gebracht wurde! Ich hörte es in der Kommandantur. Sie
reden von dir, als ob du sehr gefährlich seiest. So
dachte ich mir, die sollte ich mir mal ansehen.
Vielleicht bist du ja nicht so übel. Und dann!
Verdammt. Du siehst genauso aus wie meine Ivanka!"
"Welche Ivanka?", flüsterte ich und richtete dabei
meinen Kopf auf.
Diese unüberlegte Frage machte mir Angst, aber die
Antwort kam mit derselben bestimmten ruhigen Stimme.
"Ivanka? Das ist meine Schöne aus Koprivnica. Wir
waren eine Zeit lang zusammen. Früher. Ich war jung
und neugierig. Ich liebte es in ganz Jugoslawien
herumzureisen. Und so bin ich auf sie gestoßen." Seine
Hand glitt im Rhythmus seiner Worte meinen Rücken
entlang. Ich unterdrückte meine Angst, brachte kein
Wort mehr hervor und wünschte nur, er würde weiter
reden. Es nahm kein Ende ...
"Ihr ähnelt euch sehr. Sie war etwas kleiner. Du
bist ziemlich groß. Aber der gleiche Typ. Große Augen,
und auch das Haar. so wie deines, unruhig, lockig.
Weißt du, ich war verliebt in sie."
Die letzten Worte flüsterte er zärtlich, was in mir
einen Funken von Hoffnung hervorrief.
"Was war mit deiner Ivanka?", fragte ich, um seine
Erzählung in Gang zu halten und so seine Hand davon
abzuhalten, meinen Körper immer stärker zu quetschen.
"Ach! Die Ferne, die Jugend, mein Herumirren. Sie
wollte nicht auf mich warten."
Gott sei Dank erwähnte er nicht die Nationalität
oder etwas Ähnliches. Ich spürte eine gewisse
Erleichterung.
Der Druck seiner Hände ließ etwas nach. Ich hoffte,
er würde loslassen. Einige Augenblicke lang war es
still. Sogar die grauenvollen Schatten waren
verschwunden. Von draußen waren durch den Regen leise
Stimmen der Wachposten zu hören. Die bedrohliche
Stille wurde von einem schmerzhaften Stöhnen eines
Mannes durchbrochen.
"Ich habe deine Angst bemerkt!"
...
"Da sind sie", mit leisem und trotzdem
lauten Flüstern unterbrach jemand meine Agonie. Das
merkwürdig klappernde Geräusch schwerer Schritte - es
waren Stiefel oder schwere Schuhe - zerriss meine
Ohren. Ich zwang mich, in die Richtung zu blicken, aus
der die Geräusche kamen, und beobachtete das
Unerahnte.
Sie traten durch das niedrige Fenster
ein. Diese demonstrierte Macht brauchte offensichtlich
keine Tür. Schwere Soldatenstiefel verschwammen mit
der Farbe der Kampfuniformen. Etwas höher, wo
Männerschenkel sein sollten, hingen wie Trauben kleine
Granaten, die ihre Macht hervorhoben.
Durch das Fenster traten insgesamt zehn Männer ein,
einer nach dem anderen. Alle waren gleich angezogen
und mit den gleichen Waffen beladen. Nur einer stach
hervor, in einer schwarzen Lederjacke, vielleicht war
sie auch dunkelbraun, und Jeans. Er war der kleinste
und der dickste. Durch das Fenster trat meine Angst
ein. Meine bösen Vorahnungen, ihre Macht.
Erst jetzt kam unsere Hilflosigkeit so richtig zum
Vorschein, und das begriff ich, während ich die
hochgekrempelten Ärmel der Soldatenhemden und die
aufgeknöpften Kragen betrachtete, was diesen
Gewalttätern ein ziemlich unordentliches Aussehen
verlieh.
Alle hatten sie auf der rechten Hüfte
eine sichtbare Pistolenhülle mit einem langen
Militärmesser oder einem Bajonett. Sonnenstrahlen
schienen auf die Spitze dieser scharfen Waffen und
ließen sie noch gefährlicher erscheinen.
Über ihren Schultern hingen Munitionsgürtel für die
kurzen Automatengewehre, die sie drohend in ihren
Händen hielten.
Im Gang, mit erhobenem Kopf, blickten sie vor sich,
demonstrierten stumm ihre Macht und ignorierten unsere
ärmliche, in der Ecke zusammengedrückte Gruppe. Ich
erkannte ihre Gesichter. Erinnerte mich an ihre Namen.
An ihre Berufe. An das, was diese Menschen vor dem
Krieg waren. Unter dem Druck der aufgestauten Angst
konnte ich mich nur an zwei Namen erinnern. Das waren
Dragan Radakovic, Grundschullehrer,
Amateurschauspieler. Ein Marxist, den die
Kommunistische Partei zum Direktor des Nationalparks
Kozara ernannt hatte. Er sang im lokalen Chor "Dr.
Mladen Stojanovic" den Bass. Als ob er sich und seine
Gedanken vor unserer ärmlichen Gefängnisgruppe
verstecken wollte, trug er eine Brille mit
verdunkelten Gläsern.
Ich versuchte den Blick des anderen
,Mächtigen' einzufangen, der sich hinter den mir so
bekannten dicken Brillengläsern zu verstecken
versuchte. Es war der Strafvollzugsrichter, Živko
Dragosavljevic. Wie eine Ertrinkende, die sich an
einen Strohhalm klammerte, erhoffte ich mir Hilfe.
Während eines Strafverfahrens wegen kleinerer
Diebstähle hatten wir so oft Spaß zusammen. Ein Mal
als ich als Vertreterin meiner Firma gegen einen
Fischdieb vorging. So oft hatten wir über unsere
kleinen Gehälter geredet bzw. über die Differenz. Oft
hatte er mir im Spaß angeboten mit mir zu tauschen,
weil mein Gehalt höher war. Er war auch privat bei mir
zu Hause auf Besuch mit seiner Gattin und damals
brachten sie Chrysanthemen mit. Mein Körper versteifte
sich, als ich meine Gedanken an die Gründe, warum er
mir helfen könnte, unterbrach. Verdammte
Chrysanthemen. Werden sie bei uns nicht zum Friedhof
an die Gräber gebracht?
Er ging jetzt an Nusreta, Jasminka und
an mir vorbei, als ob er uns noch nie zuvor gesehen
hätte. Sein Gesichtsausdruck zeugte von einer gewissen
Peinlichkeit, gemischt mit aufgesetzter Härte und fest
zusammengepressten Lippen. Oder habe ich mir das alles
eingebildet?
"Hallo Živko!", schoss es wie aus der Kanone aus mir
heraus.
Worte, die noch vor einigen Tagen Zeichen von
Höflichkeit waren, des Kennens, des Normalen, klangen
in diesem Raum wie ein Hilferuf. Alle blickten wir zu
Nusreta. Nach der schnell ausgesprochenen Begrüßung
blickten ihre Augen ängstlich fragend um sich, mit der
furchtbaren Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben.
Der Mund, der ein zwanghaftes Lächeln formte, nahm
diesem "Mächtigen" gegenüber schnell eine angeekelte
Form an. Živko beschleunigte seinen Schritt, als ob er
so schnell wir möglich aus unserem Blickfeld
verschwinden wollte. Bevor er hinter der Tür
verschwand, sahen wir, wie sein ganzes Gesicht rot
anlief.
Als er durch die Glastür verschwand,
lebte unsere Ecke auf.
|