"Kannte meine Heimat nicht mehr"
So treten Culap Imhof und ihr Mann
ihre Hochzeitsreise nach Novo Selo an. "Mein Mann
liess mich nicht alleine zurückfahren, deshalb fuhren
wir gemeinsam zu meiner Familie." Nach 13 Stunden
Busfahrt erreichen sie das Ziel.
"Wir sahen zerstörte Häuser und durch
Minen gelöcherte Strassen. Ab und zu war eine Lücke
zwischen den Häuserreihen. Auf unser Nachfragen meinte
der Busfahrer lakonisch, es handle sich um Häuser, die
durch Fliegerbomben getroffen worden seien. Ich
erkannte mein Dorf nicht wieder. Als wir in der
angrenzenden Stadt Odzak eintrafen, explodierte eine
Mine zirka 50 Meter vor dem Bus auf der Strasse.
Während des Tages hörten wir etliche Fliegerangriffe
und dauernd das Geräusch explodierender Geschosse."
Aus Sicherheitsgründen übernachtet das
frischverheiratete Paar in der Nähe der Grenze und
reist am nächsten Tag weiter nach Zagreb.
"Die Brücke über die Save, über die
wir nach Kroatien zurückfuhren, wurde eine halbe
Stunde später durch einen Fliegerangriff zerstört."
Für jedes
Kriegsopfer eine Strasse
Das Ende des Bosnienkrieges erlebt die heute als
Krankenschwester arbeitende Culap Imhof vom Oberwallis
aus. Hier erreicht sie auch die Hiobsbotschaft: Ihr
jüngerer Bruder Marko ist umgekommen, einer von 18 aus
dem Dorf. Deshalb wird die Kroatin auch aktiv, als
eine Gruppe Leute letztes Jahr eine Version mit neuen
Strassennamen in Novo Selo vorschlägt.
"Ich konnte mit diesen Vorschlägen nicht viel
anfangen. Immer wurde alles fremdbestimmt: früher die
Umbenennung des Dorfes und nun sollten die Strassen
auch noch Namen von irgendwelchen Persönlichkeiten
erhalten. Jetzt, da eine demokratische Beteiligung
möglich ist, habe ich mich zum Handeln entschlossen
und der Gemeinderegierung meine eigene Idee
unterbreitet."
Sie schlägt vor, die Strassen nach den 18 jungen
Männern aus dem Dorf zu benennen, welche ihr Leben zur
Verteidigung ihrer Heimat liessen.
"Ich sammelte Unterschriften unter den Einwohnern."
Da rund die Hälfte der Einheimischen nicht mehr im
Dorf lebt, sammelt Culap Imhof auch in der Schweiz
Unterschriften. "Manche unserer Einwohner sind nach
Österreich ausgewandert, diese suchte einer meiner
Brüder auf, der dort lebt."
Das Echo ist gewaltig. "Alle wollten sofort
unterschreiben und zeigten sich sehr begeistert." So
kommt es Ende 2010 zur Abstimmung. Der Vorlage wird
mit fast 100 Prozent zugestimmt.
Zur Freude der Familienmütter sollen die
Strassenschilder schon diesen Sommer montiert werden.
Ein Grosserfolg. Deshalb überrascht es nicht, dass ein
Bürger aus Novo Selo Culap Imhof zur Bürgerin des
Jahres vorschlagen wollte. Verdient hätte sie es.
Simon Kalbermatten
www.rz-online.ch
|