|
Ivica Kostelic ist derzeit der beste Skifahrer der Welt.
Fleißarbeit und Vielfahrerei haben den Kroaten ganz nach
vorne gebracht. Kaum jemand zweifelt daran, dass er
Sieger des Gesamtweltcups wird.
"Er ist
derzeit so gut drauf, dass du ihm auch ein Snowboard
anschnallen könntest, und er würde vorne mitfahren"
Es sind große Worte und starke Sätze, die dem
Skirennläufer Ivica Kostelic derzeit zuteil werden.
"Er ist im Moment der beste Skifahrer der Welt", sagt
der Schweizer Silvan Zurbriggen, immerhin Dritter in
der Weltcup-Gesamtwertung. "Ich sage seit Jahren, dass
er meiner Meinung nach einer der besten Allrounder im
Weltcup ist", sagt der amerikanische Skistar Bode
Miller. Und Österreichs Slalom-Cheftrainer Christian
Höflehner ist der Ansicht: "Er ist derzeit so gut
drauf, dass du ihm auch ein Snowboard anschnallen
könntest, und er würde vorne mitfahren."
Ivica
Kostelic, 31 Jahre alt, geboren in Zagreb (Kroatien),
hat in diesem Jahr das Kunststück fertiggebracht,
innerhalb von 22 Tagen sechs Weltcup-Wettbewerbe zu
gewinnen. Darunter, als Slalomspezialist, den Super-G
in Kitzbühel, einen Tag nur nach dem schweren Sturz
des Österreichers Hans Grugger im Abfahrtstraining.
Nun führt Kostelic die Gesamtwertung mit 1078 Punkten
vor den Schweizern Didier Cuche (673 Punkte) und
Zurbriggen (658) an, und nachdem zu Saisonbeginn noch
viele gejammert hatten, dass es in diesem Winter
keinen Fahrer gebe, der den Weltcup wirklich präge,
dass sich Abfahrts- und Technikspezialisten je nach
Rennwochenende einfach an der Spitze der Gesamtwertung
abwechselten, so haben nun genauso viele keinen
Zweifel mehr, wie der Sieger des Gesamtweltcups 2011
heißen wird: Ivica Kostelic. |
Beinharte Jugendjahre
So freut sich die Nummer Eins:
Kostelic nach seinem ersten Platz im Slalom-Rennen von
Chamonix
Es gibt eine Menge Geschichten über Kostelic, und
nicht wenige davon handeln von seinen beinharten
Jugendjahren unter Vater und Trainer Ante Kostelic,
der Ivica und dessen jüngere Schwester Janica von
Beginn an betreute. Von Übernachtungen im Freien, um
Hotelkosten zu sparen und die Liftkarten finanzieren
zu können, von riesigen Trainingsumfängen, vom
Zwölfjahresplan des Vaters mit dem Ziel, 2002 eine
Olympiamedaille zu gewinnen. Diese Vorgabe übertraf
das Geschwisterpaar schließlich bei weitem: Janica
wurde bis zu ihrem Rücktritt 2007 fünfmal
Weltmeisterin, viermal Olympiasiegerin und dreimal
Gesamtweltcupsiegerin, Ivica gewann 2002 den
Slalom-Weltcup und wurde 2003 Slalom-Weltmeister. Doch
beide wurden im Lauf der Jahre auch immer wieder durch
schwere Verletzungen zurückgeworfen, Ivica erlitt
allein vier Kreuzbandrisse. Jedesmal kämpfte er sich
zurück.
So erstaunt es kaum, dass er als
Grundlage seines aktuellen Erfolgs vor allem eins
nennt: viel Arbeit. "Wir haben im Frühjahr und im
Herbst sehr hart trainiert", sagt er. "Der Januar ist
der wichtigste Monat im Weltcup, also haben wir das
Training so ausgelegt, dass ich dann in Top-Form bin."
Nur so vermag er den enormen Belastungen
standzuhalten, die seine Vielfahrerei mit sich bringt.
In der vergangenen Woche bestritt er in Kitzbühel und
Schladming in sechs Tagen fünf Rennen, inklusive
Abfahrtstraining. Während Konkurrenten wie der
Schweizer Carlo Janka, der Österreicher Benjamin Raich
oder Bode Miller die Rennen in Chamonix am Wochenende
zugunsten der Regeneration ausließen, stand Kostelic
auch dort auf der Matte und kam bei der Abfahrt am
Samstag auf den 28. Platz. Die kräftezehrende
Terminhatz ist für ihn ein Grund, warum Allrounder
inzwischen rar geworden sind im Weltcup. "Es ist hart,
es bringt viel Risiko mit sich, und du musst viel mehr
trainieren", sagt er.
Wer Kostelic im Rennen verfolgt,
kommt zwangsläufig ins Schwärmen
Doch es ist nicht nur Fleißarbeit, die
Kostelic ganz nach vorne brachte. Wer ihn im Rennen
verfolgt, seine ruhige, elegante, beherrschte,
ökonomische Fahrweise, kommt dabei zwangsläufig ins
Schwärmen - auch als Slalomspezialist. "Kostelic",
sagt Felix Neureuther, "ist ein Lehrbuch-Fahrer. Der
steht so sauber, so zentral über dem Ski, den kannst
du in jedes Video für Skilehrer aufnehmen. Das ist
eine Augenweide, wie der Ski fährt." In den
technischen Disziplinen, aber auch in den Speedrennen.
"Seine Art zu gewinnen ist ganz anders
als meine", sagte Bode Miller in Kitzbühel. "Er fährt
sehr konstant, von oben bis unten, er macht keine
Fehler, er kommt fast nie von seiner Linie ab." Als
Miller Kostelics Super-G-Lauf in Kitzbühel sah, hätte
er nie gedacht, dass danach keiner mehr schneller sein
würde. "Du hast Stellen gesehen, an denen er deutlich
zurückgezogen hatte, er kam mehrmals ins Rutschen mit
den Ski. Man musste einfach glauben, dass ein anderer
noch besser sein würde. Aber er hat großartige Ski, er
ist wirklich schnell, und er macht einfach keine
Fehler, nicht mal einen kleinen Wackler."
"Für mich
ist der Weltcup wichtiger als die WM"
Kostelic hat viel Erfahrung gesammelt seit seinem
Weltcup-Debüt 1998, er ist einer der Routiniers im
Alpinzirkus, einer der einprägsamen Typen. Er spricht
perfekt Englisch und hinreichend Deutsch, und er hält
mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Nach dem
schweren Sturz von Hans Grugger in Kitzbühel äußerte
er sein Unverständnis darüber, dass der Sprung an der
Mausefalle vor dem Rennen nicht mehr verändert wurde.
Als der Renndirektor des Internationalen Skiverbandes,
Günter Hujara, davon Wind bekam, schwang er zunächst
die große Keule, drohte wegen vermeintlich
unstatthafter Angriffe auf die Jury mit Ermittlungen
und Geldstrafen. Nachdem Hujara den genauen Wortlaut
von Kostelics Kritik erfahren hatte, verebbten die
Wellen schnell. Auch Kostelic gab sich später
konziliant, lobte die Sicherheitsanstrengungen der Fis
und die verbesserten Beziehungen der Fahrer zum
Renndirektor. Nicht ohne darauf hinzuweisen: "Das
Recht, seine Meinung zu sagen, ist einer der Ecksteine
der menschlichen Zivilisation. Wenn jemand das anders
sieht, haben wir ein Problem."
Kostelic
wäre der erste Kroate, der den Gesamtweltcup gewinnt
In einer guten Woche steht nun die WM in
Garmisch-Partenkirchen an, und der Verdacht liegt
nahe, dass so manche der Hymnen auf Ivica Kostelic
auch ein wenig damit zu tun haben könnten. Nach dem
Motto: Je größer alle diesen Kostelic machen, desto
leichter können sie sich, wenn es um die Goldfavoriten
geht, hinter ihm verstecken. Kostelic sieht das Spiel
gelassen: "Für mich ist der Weltcup wichtiger als die
WM. Weltmeister war ich schon." Gesamtweltcupsieger
noch nicht. Kostelic wäre der erste Kroate, dem das
gelingen würde. "Die Hauptsache ist für mich jetzt,
gesund zu bleiben", sagt er. Das ist angesichts seines
Programms schwer genug.
So freut sich die Nummer Eins:
Kostelic nach seinem ersten Platz im Slalom-Rennen von
Chamonix
Von Bernd
Steinle, FAZ, 01. Februar 2011
Bildmaterial: AFP, dapd
Rennen in Chamonix -
VIDEO |