Als wichtigstes Ergebnis aber steht jetzt bereits fest,
dass die moralische Gleichsetzung der jugoslawischen
Kriegsparteien, die sich in den vergangenen Jahren immer
mehr durchgesetzt hat und schließlich fast allgemein
akzeptiert wurde, nicht mehr aufrechterhalten werden
kann.
Es war eben nicht so, dass sich auf
beiden Seiten angriffslustige Nationalisten
gegenüberstanden, die mit denselben kriminellen
Mitteln dasselbe kriminelle Ziel der "ethnischen
Säuberung" verfolgten. Kroatien war das Opfer der
serbischen Aggression. Es hat einen legitimen
Verteidigungskrieg geführt.
Wie in jedem Krieg gab es auch in
diesem Krieg Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung;
schwere Verbrechen, die zweifellos individuell
geahndet werden müssen. Aber es gab keinen politischen
Generalplan der kroatischen Führung, im Zuge der
Befreiung der von den serbischen Rebellen besetzten
Gebiete die serbische Zivilbevölkerung durch Gewalt
und Androhung von Gewalt zu vertreiben. Die Kroaten
sind keine Vertreibernation. Das hat das Haager
Tribunal festgestellt, und das ist gut so.
Kroatien hatte gute Gründe, gegen
Serbien eine Klage wegen Völkermordes einzureichen.
Der Gegenklage Serbiens aber, die sich hauptsächlich
auf die Operation "Sturm" vom Sommer 1995 stützt, ist
nach dem jetzt verkündeten Urteil des Haager Tribunals
haltlos geworden. Dies erklärt die heftigen Reaktionen
aus Belgrad, wo wieder einmal gegen die Haager
"Politjustiz" gewettert wird. Für den kroatischen
EU-Beitritt wiederum ist es wichtig, dass das Land
endlich den Generalverdacht losgeworden ist, die
Kroaten seien in Wirklichkeit in der Wolle gefärbte
Nationalisten, die nur vorgäben, aus der Vergangenheit
gelernt zu haben.
Wenn jetzt feststeht, dass General
Gotovina kein Verbrecher ist, sondern seine Pflicht
erfüllt hat, wird es Zeit, dass auch andere ihre
jeweiligen Geschichtsbilder einer kritischen Revision
unterziehen. In Belgrad, aber auch in einigen
Hauptstädten der EU.
Von Karl-Peter Schwarz
www.faz.net / 16.11.2012
Karl-Peter Schwarz
Geboren 1952 in Villach
(Österreich), Studium der Geschichte und Romanistik in Wien und Rom,
Magister. Erste journalistische Erfahrungen in der außenpolitischen
Redaktion der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" (1982 bis 1984),
dann in der Nachrichtenredaktion ("Zeit im Bild") des österreichischen
Fernsehens (ORF). 1986 bis 1990 Auslandskorrespondent des ORF für Hörfunk
und Fernsehen in Rom. 1990 bis 1995 Auslandskorrespondent für "Die Presse"
in Prag. 1996 bis 2000 stellvertretender Chefredakteur der "Presse". Nach
dem Wechsel zur F.A.Z. im November 2000 zehn Jahre lang Korrespondent in
Prag. Berichtet nun mit Sitz in Wien über Politik und Wirtschaft in der
Tschechischen Republik, in der Slowakei, Rumänien, Slowenien, Kroatien,
Montenegro und Albanien. Publikationen: "Tschechen und Slowaken. Der lange
Weg zur friedlichen Teilung". Wien, Europa-Verlag, 1993. Zahlreiche
Aufsätze in Zeitschriften (Schwerpunkt Zeitgeschichte) und
TV-Dokumentationen. Verheiratet.
F.A.Z., Politik
|
|