Laut offiziellen Zagreber Angaben handelt es sich bei
dem Vorstoss der kroatischen Armee im Hinterland der
Küstenstadt Zadar vom vergangenen Freitag um eine lokal
begrenzte militärische Aktion zur Sicherung des Zugangs
zu der im Herbst 1991 von den Verbänden der auf dem
Territorium Kroatiens einseitig ausgerufenen
gesprengten Brücke über den Velebit-Kanal bei der
Ortschaft Maslenica sowie zur Wiedereröffnung des
Flugplatzes von Zemunik. Gemäss einem Beschluss der
kroatischen Regierung soll in Kürze in einer ersten
Phase mit dem Bau einer behelfsmässigen Brücke begonnen
werden. Sowohl die Strasse von Zadar nach Maslenica als
auch jene nach Zemunik liegen innerhalb der dortigen
, das heisst in einem Gebiet, das zwar von den Serben
besetzt und bis zum Freitag kontrolliert wurde, das aber
nicht zur Uno-Schutzzone Süd gehört.
Gemäss der Zagreber Interpretation der
entsprechenden Uno-Resolution müsste in dieser
die kroatische Souveränität in vollem Umfang wieder
hergestellt werden. Bisher sei aber in dieser Hinsicht
nichts geschehen, und die bereits vor -Monaten ins
Leben gerufene gemischte Kommission sei wegen der
Obstruktionspolitik der selbsternannten Führer der
in ihren Bemühungen um eine politische Lösung nicht
vom Fleck gekommen. Auch wird in Zagreb betont, dass
Vance und Owen dem geplanten Bau der Brücke bei
Maslenica ihre Zustimmung gegeben hätten. Kroatien
habe also in Einklang mit dem Uno-Plan gehandelt, der
in der von den Serben besetzten Gebieten die
Entwaffnung der paramilitärischen Verbände sowie eine
Rückkehr aller Vertriebenen vorsieht.
Hohe Transportkosten
Für Zagreb ist der Bau einer neuen
Brücke beim Ort Maslenica, der etwa 30 Kilometer
nördlich von Zadar liegt, von überaus grosser
wirtschaftlicher Bedeutung, geht es doch dabei um die
Wiederherstellung der einzigen noch verbliebenen
Strassenverbindung von Zagreb nach Dalmatien. Die
andere Strasse an die adriatische Küste, die über das
Gebiet der führt, ist ebenso wie die einzige
Eisenbahnverbindung zwischen Zagreb und Split schon
seit längerer Zeit unterbrochen. Gegenwärtig kann man
Dalmatien auf dem Landweg nur über die Insel Pag
erreichen, was jedoch insofern umständlich ist, als
man auf eine Fähre angewiesen ist, auf die man oft
lange warten muss oder die, im Falle ungünstiger
Wetterverhältnisse, überhaupt nicht verkehren kann.
Auch ist die Brücke, die wieder auf das Festland
hinüberführt, nur einspurig befahrbar.
Die Folge von all dem ist, dass Dalmatien, vor allem
im Winter, immer wieder während Tagen vom übrigen
Kroatien abgeschnitten ist und dass die
Transportkosten überaus hoch sind. Zagreb gibt den
Schaden, welcher der Wirtschaft durch die
Unterbrechung der Strassenverbindung im Gebiet von
Maslenica täglich zugefügt wird, mit zwölf Millionen
Dollar an. Von kroatischer Seite wird zur
Rechtfertigung der militärischen Aktion auch darauf
hingewiesen, dass ein grosser Teil der humanitären
Hilfe für Bosnien-Herzegowina über die dalmatinische
Küstenstrasse an ihren Bestimmungsort gelangt.
Falls es den kroatischen Truppen
gelingen sollte, das Gebiet um Maslenica und Zemunik
unter ihre Kontrolle zu bringen, dann dürfte dies auch
Auswirkungen auf das Leben der Bewohner Zadars haben,
denn der vom wirtschaftlich wichtigen Hinterland
abgeschnittenen Küstenstadt Zadar war buchstäblich die
Kehle zugeschnürt.
Die Frontlnien waren nämlich bis zum Freitag dort,
wo die letzten Häuser standen, etwa zwei Kilometer vom
Zentrum entfernt und unweit der Industriezone
verlaufen. Aber auch an einigen anderen Stellen weiter
südlich befinden sich die vordersten Stellungen der
Serben der nahe an der Küstenstrasse und am
Meer.
Widersprüchliche Angaben
Bereits am Samstag hatte die Zagreber
Presse gemeldet, dass die kroatischen Einheiten fast
die gesamte im Hinterland von Zadar ohne
grössere Gegenwehr unter ihre Kontrolle gebracht und
neun kroatische Dörfer befreit hätten. In der Nähe der
zerstörten Brücke von Maslenica wehe bereits die
kroatische Fahne. Auffällig aber war, dass die
kroatische Presse überaus zurückhaltend über die
angeblich erfolgreiche Operation berichtete und dass
am Fernsehen überhaupt keine Bilder über den Vorstoss
gezeigt wurden. Am Sonntag hiess es dann, die
kroatischen Verbände seien daran, die Zufahrtsstrassen
von Zadar nach Maslenica und Zemunik zu befreien, was
im Klartext wohl bedeutet, dass es zu heftigen Kämpfen
gekommen ist. Am Samstag und Sonntag wurde die Stadt
Zadar erstmals wieder seit acht Monaten mit schweren
Waffen beschossen, wobei es unter der Zivilbevölkerung
auch Verletzte gegeben hat Zweifellos besteht die
Gefahr einer Ausweitung des bewaffneten Konflikts.
NZZ, 25.01.1993
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