Im Namen der Zehntausenden die ihr Zuhause verloren
haben, und im Namen der Tausenden, die getötet wurden,
sehe ich mich verpflichtet, die ungeheure
Wahrheitsverdrehung in dem erwähnten Leserbrief zu
berichtigen. Es ist wirklich eine unheimliche Heuchelei,
wenn diejenigen, die unsere Stadt barbarisch zerstört
haben, die uns unseres Zuhauses, unserer Vergangenheit,
unserer Gegenwart und viele von uns des Lebens beraubt
haben, noch versuchen, uns zum Zwecke der eigenen
Propaganda zu missbrauchen. Ein Serbe, der eine Ehre
hat, sollte aus Pietät gegenüber den Opfern des
serbischen kommunistischen Regimes das Wort Vukovar für
lange Zeit nicht mehr in den Mund nehmen.
Vor vier Monaten war Vukovar eine
schöne, ruhige und friedliche Stadt mit zirka 45 000
Einwohnern. Neben der mehrheitlich kroatischen
Bevölkerung haben dort auch viele Serben, Ungarn,
Rumänen, Weissrussen und Leute anderer Nationalitäten
friedlich und im besten Einvernehmen miteinander und
nebeneinander gelebt. Wegen immer häufigerer
serbischer Angriffe auf Vukovar haben Ende Sommer
allmählich viele Einwohner die Stadt aus Angst um ihr
Leben verlassen.
Als die Stadt durch die serbische
Armee endgültig total eingekesselt wurde, sind wir
noch etwa 15 000 Personen geblieben (nicht 30 000 wie
im Brief von S. M.), davon waren mehr als die Hälfte
Frauen und Kinder. Diese 15000 Leute, Kroaten, Serben
und andere Nationalitäten, haben dann über drei Monate
die Hölle auf der Erde erlebt.
Die Einschläge der schweren Granaten
haben wir am Anfang, in unseren Kellern versteckt,
noch gezählt, aber als es Tausende pro Tag wurden, war
dies nicht mehr möglich. Mit der Unterstützung durch
relativ wenige Vertreter der kroatischen Garde hat die
zivile Bevölkerung die Hauptlast der Verteidigung
getragen. Wir haben gekämpft mit dem Mut der
Verzweiflung, da wir um unser Leben und unser Zuhause
gekämpft haben. Wir konnten drei Monate lang mit den
Handfeuerwaffen verhindern, dass die serbischen
Eroberer in unsere Stadt, in unsere Strassen und in
unsere bereits zerstörten Häuser vordrangen.
Gegen die schweren
Artilleriegeschosse, welche die feige serbische Armee
(siehe darüber den Artikel im BT vom 4. Dezember 1991)
aus sicherer Distanz meistens vom serbischen
Territorium auf der anderen Seite der Donau abgefeuert
hat, waren wir machtlos. Die grauenvollen,
bestialischen Massaker an der zivilen Bevölkerung
haben die serbischen Freischärler, genannt Tschetniks,
mit der Schützenhilfe der ehemaligen jugoslawischen
Armee durchgerührt. Die Ustascha hat es in Vukovar
nicht gegeben, und spätestens seit meiner
Gefangenschaft in Serbien weiss ich, dass es überhaupt
keine Ustascha gibt. In Serbien wurden nämlich wir,
die gefangene Zivilbevölkerung von Vukovar, der
serbischen Bevölkerung zur Schau gestellt und zu
unserer Verwunderung als gefangene Ustaschas
vorgezeigt. Also, uns wurde klar, dass es die
Ustaschas gar nicht gibt, wenn sich die serbische
Behörden in solcher Beweisnot über deren Existenz
befinden, dass sie uns als Ustaschas bezeichnen.
Zu den von hinten erschlagenen 40
Serben, deren Leichen gemäss Angaben des Lesers S. M.
mit dem Fluss Sava aus Kroatien nach Novi Sad
angeschwemmt wurden, muss man folgende Berichtigungen
vornehmen.
Erstens handelt es sich
hier um eine physische
Unmöglichkeil. Um vom Fluss
Sava nach Novi Sad zu
gelangen, müssten die
Leichen mindestens 80
Kilometer flussaufwärts in
der Donau schwimmen, da die
Sava zirka 80 Kilometer
flussabwärts von Novi Sad
entfernt in die Donau
einfliesst. Eindrücklicher
hätte S. M. die
(Un-)Glaubwürdigkeit seiner
Aussagen nicht zeigen
können.
Zweitens: viele Serben haben
den Befehl aus Serbien, dass sie sich in Kroatien
bedroht fühlen müssen und deswegen ihr Zuhause
verlassen müssen, nicht befolgt, weil Kroatien ihre
Heimat war und weil sie sich dort wohl gefühlt haben.
Dieses Benehmen hat in die serbische Propaganda nicht
hineingepasst. Deswegen wurden viele Serben durch die
serbischen Tschetniks getötet, wodurch gleichzeitig
drei Ziele erreicht wurden: erstens wurden die
Ungehorsamen bestraft, zweitens wurde den anderen
Serben anschaulich gemacht, dass es für die Serben in
Kroatien doch gefährlich ist, und drittens lässt sich
damit Propaganda vor allem in Serbien, aber
offensichtlich bis in die Schweiz und auf der ganzen
Welt betreiben.
Den letzten Teil der Behauptungen von
S. M., dass die Probleme im ehemaligen Jugoslawien mit
dem oder mit irgendwelchen
Machtansprüchen anderer europäischer Staaten etwas zu
tun haben, muss ich wohl nicht kommentieren. Da sich
mit diesen Argumenten die serbische Propaganda selbst
disqualifiziert. Dass dieses Argument in Serbien mit
dem kommunistischen Informationsmonopol bei der
Bevölkerung ankommt, kann ich noch verstehen, dass
dies aber ein Leser in der Schweiz glaubt und darüber
ans BT schreibt, ist mir wirklich unverständlich.
Ich habe gehört, dass die Serben
bereits alles geplündert haben, was in Vukovar in
unseren Häusern und Wohnungen noch nicht zerstört
wurde, dass sie einen neuen serbischen Bürgermeister
für diese eroberte und zerstörte Stadt ernannt haben
und dass sie in unseren Häusern bzw. in dem, was da
von geblieben ist, Serben aus Serbien ansiedeln.
Werden diese Menschen je glücklich werden können auf
der Stätte des Grauens, wo unsere Toten immer noch in
den Hausgärten begraben liegen, weil wir unter dem
ständigen Granatfeuer nicht einmal die Möglichkeit
hatten, sie zum Friedhof zu tragen?
Vertriebene
aus Vukovar, BT v. 13.12.1991
02.12.2010. |