Angeboten wurden die Schlachtfeldergebiete von 1870/71
von Gravelotte, das Ossuaire (Beinhaus) von Thiaumont,
ein feines Mittagessen mit Zeit zur Besichtigung des
"zerschossenen Verdun" und schliesslich am Nachmittag,
sozusagen als Höhepunkt, die Fahrt durch "das
schrecklich verwüstete Gebiet von Haudiaumont".
Keine einmalige Aktion etwa. Nein, infolge grossen
Andrangs wurden die Fahrten "jeden Tag" ausgeführt.
Anerkennungs- und Dankesschreiben von früheren
Reiseteilnehmern lägen in grosser Zahl im Bureau bereit,
pries das Blatt sein Angebot an.
Da wohl nicht mehr opportun, werden solche Ausflüge
heute nicht mehr ausgeschrieben. Kein Zweifel jedoch,
die Nachfrage bestünde nach wie vor. Wenn Leute ihre
Hobby's nennen, kommen "Kriegsgeschichte",
"Weltkrieg", "Grosse Schlachten" oder Ähnliches mit
grosser Regelmässigkeit vor.
Krieg und Schlachten faszinieren viele Menschen.
Dabei gibt es viele Orte, die mit einer Aha-Erinnerung
an frühere Geschichtsstunden zur Kenntnis genommen
werden, verbunden mit geschichtlichen Ereignissen und
den Namen ihrer Helden. Grosse Emotionen oder Gedanken
an Leiden und Tod sind damit gemeinhin nicht
verbunden: Bibracte und Cäsar, Cannae und Hannibal,
Morgarten, Sempach und Winkelried, Murten, Marignano,
Trafalgar und Nelson, Leipzig und Napoleon, Pearl
Harbour, Dien Bien Phu. Sogar Verdun war trotz der
gegen 1 Million Toter offenbar ein gutes Mittagessen
"im besten Hotel der Stadt" wert. Und auch viele
neuere Schlachten sind Geschichte, Kriegsgeschichten,
die kaum jemanden gross bewegen.
Es gibt aber auch Namen, die einen erschaudern
lassen. Was zeitlich näher liegt und wo Geschriebenes
durch Bilder ergänzt wird, berührt es uns mehr. Vor
allem aber die Erinnerungen an Kriegsereignisse, bei
denen die Sinnlosigkeit und Brutalität des Kriegs
nicht durch strategische Glanzleistungen der
Feldherren oder die Baukünste der Kriegsingenieure
übertüncht werden, sondern offen da liegen: Allen
voran die Schreckensorte des Holocaust wie Auschwitz,
Majdanek, Buchenwald, Dachau und die Orte von
Massakern Wehrloser, wie Oradour, Fosse ardeatine,
Srebrenica oder eben Vukovar.
Doch: Alle diese Namen haben ungeachtet der
unterschiedlichen Assoziationen und Gefühle, die sie
in uns auslösen, etwas gemeinsam: Sie stehen für
Millionen und Abermillionen von Einzelschicksalen, für
Tod, Schmerz und Erniedrigung, für Rücksichtslosigkeit
und Kälte, für Angst, für Folter, Zynismus und Freude
am Leid der anderen, nicht nur für die Vernichtung von
Leben, sondern auch die Zerstörung unzähliger
menschlicher Seelen.
Die Schrecken des Krieges zu zeigen, ihm die
cachierende Maske der Heldenhaftigkeit, des
Technokratischen, des Schlachtstrategischen vom
Gesicht zu reissen, das ist die Aufgabe von uns allen.
Es gibt keine romantischen Schlachten, keine schönen
Kriege, es darf keine Faszination des Kriegs geben.
Krieg ist Mord, ja noch schlimmer, Krieg reisst
besonders tiefe Wunden, nicht nur ins Fleisch des
einzelnen Menschen, sondern ins Innerste der
menschlichen Gemeinschaft, der Gesellschaft. Krieg
entwurzelt, er vernichtet Identität, er enttäuscht
Hoffnungen und Lebenspläne der Menschen. Er raubt der
Jugend ihre Zukunft, ihr Leben. Auf alle möglichen
Arten, durch Worte, durch Bilder, durch Musik, durch
Töne oder wie auch immer zu zeigen, dass Krieg
ausnahmslos schrecklich und mörderisch ist. Das müssen
wir tun, wo es uns möglich ist.
Die Heute
eröffnete Fotoausstellung tut dies auf eindrückliche
Weise. Sie will nicht schockieren durch schreckliche
Bilder der Verbrechen des Kriegs. Sie zeigt nicht, was
vor etwas mehr als 10 Jahren in einer friedlichen,
wunderschönen Stadt an der Donau an Undenkbarem
geschah. Und dennoch spürt man es. Man empfindet, was
Menschen Menschen in unserer nächsten Umgebung angetan
haben und antun können. Was staatlich organisiert,
geplant und durchgeführt - wie es Kriege eben sind -
vor 10 Jahren passiert ist, mitten in Europa.
An sich kennen wir ja alle die viel schrecklicheren
Bilder von den zahllosen kriegerischen Konflikten
unserer Welt aus der Tagesschau oder der Presse. Wir
sehen Gewalt, wir sehen den Tod, wir sehen
verstümmelte Leichen. Doch wir wissen alle, wie
schnell das Schreckliche ausgeblendet, verdrängt wird.
Wie schnell die Namen des Schreckens der Gegenwart in
der Geschichte versinken und vergessen werden. Wie
leicht ob all des Leides die bewegten Bilder
verschwimmen und der Krieg einfach irgendwo
stattfindet, heute da, morgen dort, zum Glück nicht
bei uns, sei es real oder im Spielfilm, nach der
Spätausgabe im Abendprogramm.
Werner Rolli und Remigius Bütler haben in ihren
Fotografien und Texten einen anderen Ansatz gewählt.
Sie schockieren nicht durch gezeigte Brutalität gegen
Menschen. Sie bewegen uns durch die Gesichter derer,
die sich erinnern, sich erinnern wollen und müssen,
und die dennoch leben wollen; sie bewegen durch Worte,
die nicht den Horror des Mordens und Quälens
wiedergeben, sondern uns die Folgen des Krieges
zeigen, den Unfrieden, die Hoffnungslosigkeit, die
Traurigkeit, die Trostlosigkeit des Alltags, den Hass,
der nicht gewollt und doch ist. Und gleichwohl
dazwischen immer wieder ein kleines Stück Hoffnung,
dass das wieder kommt und wieder blüht, was wir alle
uns doch so sehr wünschen: Frieden, Vertrauen, Liebe,
Glauben an die Zukunft, an das Recht jedes Menschen,
in seinem eigenen Leben glücklich sein zu dürfen.
Und die Bilder und Texte von Werner Rolli und
Remigius Bütler schockieren, indem sie uns vor Augen
führen, wie auch die Zerstörung von Sachen, von
Häusern, von Strassenzügen, von Monumenten, die
Zerstörung der Grabmäler auf dem Friedhof die Menschen
im Innersten trifft, ihre Identität vernichtet, sie
demütigt und ihnen nimmt, was ihnen ihre Geschichte
gab:
Wurzeln, Kultur, Heimat, den Stolz nicht einfach zu
SEIN, sondern Bürgerin, Bürger eines Landes und einer
Stadt zu sein, Bürgerin und Bürger von Vukovar.
Ob diese seelischen Wunden je verheilen werden,
wissen wir nicht. Ob aus all dem Unrecht, das dieser
Krieg - wie alle Kriege - brachte, Frieden und
Gerechtigkeit entstehen können, wissen wir nicht. Nur
eines wissen wir: Was in Vukovar geschah, darf nicht
mehr geschehen. Nirgends auf der Welt. Nie wieder
Krieg! Das war die Losung der Pazifisten nach den
Schrecken des Ersten Weltkrieges. Der Zweite kam nach
zwanzig Jahren und Hunderte von Kriegen sind es
seither gewesen, überall auf der Welt, auch bei uns in
Europa. Und wieder stehen wir vor einem Krieg, etwas
weiter weg - 6 statt 2 Flugstunden - von unserem Land
entfernt.
Natürlich gibt es Unterschiede. Gewalt gegen
Unrecht, sie muss sein. Auch das haben uns die Kriege
auf dem Balkan gezeigt. Es gibt Gründe für
militärische Gewalt. Doch sie sind seltener als
vorgegeben wird. Zwar bedeutet Krieg nicht immer
Vukovar. Den sauberen Krieg aber, den gibt es nicht.
Krieg schlägt immer Wunden und sät immer Hass. Krieg
ist immer schlimmer, als man es von aussen ahnt. Das
mögen in den nächsten Wochen auch die
transatlantischen Cäsaren bedenken.
von Urs
Hofmann, Nationalrat, Aarau
Weitere Seiten über Fotoausstellung:
Vukovar "Momentaufnahmen zur Krieg und Frieden"
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